Dezember 11

Epigenetik

Familienbande - trotz oder gerade wegen der Familie entspannter sein!?

Haben Sie schon einmal auf die Frage nach ihren Persönlichkeitseigenschaften folgendermaßen - oder so ähnlich geantwortet? „Das liegt bei mir in der Familie“„Da kann man eh nichts machen.“ „Das habe ich in den Genen“ Ja? Kennen Sie? Dann sollten Sie unbedingt weiterlesen. Wenn Ihnen das völlig fremd ist, weil sie denken, dass Sie ganz alleine für ihr Wohlbefinden verantwortlich sind – dann erst recht. 

Sie werden sich jetzt sicher fragen, was das jetzt zu bedeuten hat – aber genau darüber wird es sich in diesem Blogartikel drehen. Fangen wir aber erst einmal mit einer Bestandsaufnahme an:

Die „Ich habe das in den Genen“ – Annahme

Viele von uns kennen das, die Eltern sind ganz entspannte Gesellen gewesen und man selbst ist auch die Ruhe in Person und weiß gar nicht warum andere so schrecklich überdreht und gestresst sind. 

Ihre Mutter hat aber vielleicht auch schnell die Fassung verloren wenn es mal etwas stressiger wurde – und als Kind dachten Sie „So wie meine Mutter – so will ich nie werden.“ Und heute? Kann Stress Ihnen etwas anhaben? Oder sind sie total cool, egal was gerade über Sie hereinbricht? So Sprüche wie „Na bei der Mutter ist das ja kein Wunder“ - kennt man und man ist sich unschlüssig darüber, ob man „So ein Unsinn“ oder „Ja, was soll ich denn da machen?“ denken soll. 

Im Biologieunterricht haben wir ja gelernt, vererbt wird die Anlage – die Umwelt spielt da keine Rolle. Darwins Evolutionstheorie lässt grüßen. Die Gene sind also schuld – und machen kann man daran ja bekanntlich überhaupt nichts. Traurige Aussichten.

Die „Das habe ich von meinen Eltern“ – Annahme

Ich bin in einer Umwelt aufgewachsen – wir alle sind das. Diese Umwelt hat uns geprägt und gestaltet. Wir alle wissen eigentlich, dass die Ernährung und der Gesundheitszustand der Mutter Auswirkungen auf das ungeborene Kind haben können. Wir wissen, dass Alkohol und Nikotin schädlich sind. Die meisten Mütter versuchen diese ungesunden Lebensweisen während der Schwangerschaft zu vermeiden – die Auswirkungen auf das Kind wären auch häufig offensichtlich und irreversibel.

Bei Stress sieht es hingegen ganz anders aus – die Erkenntnis, dass negativer Stress dem ungeborenen Kind schaden kann ist noch lange nicht soweit verbreitet wie es sein sollte. Aber auch nach der Geburt, gibt es viele Verhaltensweisen, die durch Eltern geprägt werden. Der Umgang mit Medien, mit Nahrungsmitteln, mit Mitmenschen oder anderen Lebewesen – Dankbarkeit, Resilienz… ja, auch Resilienz!?

Die Frage nach der Resilienz – oder „warum nochmal bin ich gestresst?“

Was ist nochmal Resilienz? Wenn Sie sich gerade nicht sicher sind, ob Resilienz was Gutes ist – dann lesen Sie den Artikel „Resilienz – brauch ich das oder kann das weg?“ Hat jeder Mensch nun Resilienz von Geburt an? Wird die Veranlagung resilient zu sein, von den Eltern vererbt? Muss Resilienz vorgelebt werden, damit das Kind davon profitieren kann? Klar, wie im dazugehörigen Artikel erklärt – Resilienz kann gelernt werden – sehr gut sogar. "Aber warum hab ich das nicht einfach?" Und warum fällt es manchen Menschen schwerer sich in Resilienz zu üben als anderen? Haben Sie den Resilienz Artikel bereits gelesen, wissen Sie, dass Resilienz die Fähigkeit ist, Stress wieder abperlen zu lassen. Doch wo genau kommt der Stress her? Und warum ist der Kollege oder die Nachbarin immer so furchtbar entspannt? Denken Sie…

„Da kann man nichts machen“

Ach ja – die Gene sind ja schuld. Aber glauben Sie das wirklich? Oder fühlt das sich oft an wie eine Ausrede? Sie können beruhigt sein – es ist irgendwie wirklich richtig. Also fast. Wenn Sie neugierig sind, ob nun die Gene wirklich schuld sind, und ob wir uns einfach hoffnungslos unserem Schicksal hingeben müssen… dann lesen Sie einfach noch den nachfolgenden Faktencheck.

Die Sache mit den Genen

Nein – keine Sorge, das hier wird kein Fachartikel über Genetik. Aber wenn wir davon reden, dass unsere Eltern unsere Existenz beeinflusst haben – was ja zweifelsohne richtig ist – dann muss man über kurz oder lang an den Genen vorbei. Wir streifen sie aber nur ganz kurz. Gene sind Abschnitte auf der DNA, also unser Erbgut. Zur Hälfte von der Mutter zur Hälfte vom Vater, während der Befruchtung ordentlich vermischt. 

Änderungen auf der DNA – also in den Genen sind irreversibel – da kann man nichts mehr machen. Häufig handelt es sich hierbei um Mutationen, Änderungen in der Abfolge der Bausteine der DNA. Der Mensch ist aber weit aus mehr als die Summe seiner Gene. Die Epigenetik ist für das „i“-Tüpfelchen verantwortlich – sie könnte beispielsweise erklären, warum eineiige Zwillinge auf verschiedenste Art unterschiedlich sein können.

Epigenetik - gar nicht mal so schwer zu verstehen

In einem Satz: Die Epigenetik beschäftigt sich mit den Änderungen in der Genaktivität. Anders formuliert: Gene lassen sich ein und ausschalten – und das warum und wie versucht die Epigenetik herauszufinden. Für alle Fachleute sei hier angemerkt – die Ausführungen zur Epigenetik erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. – Für alle, die sich intensiver mit der Thematik auseinander setzen wollen, können im Anhang frei verfügbare Quellen finden, die sich mehr oder weniger intensiv – aber vor allem angemessen mit diesem Thema auseinander setzen.

Ergo: Die Gene sind schuld? Irgendwie.

Nicht allzu sehr befriedend, oder? Also doch etwas ausführlicher. Die Epigenetik erklärt wie Gene mit der Umwelt interagieren und schlägt damit eine Brücke zwischen Anlage (unseren Genen) und der Umwelt. Sie erklärt, wie Lebenserfahrungen die Genaktivität verändern können, ohne die DNA zu verändern.

Je nach Zelltyp und Umweltsituation werden nur bestimmte Gene aktiv, was zum Teil durch sogenannte „Anhängsel“ (Methylgruppen) geregelt wird. An bestimmten Stellen verhindern diese Marker, dass der Ablesevorgang startet. Handelt es sich hierbei um ein Risikogen, welches stumm geschaltet wird, wirkt es sich nicht negativ auf den Organismus aus. Hierbei handelt es sich um relativ stabile Prägungen, die allerdings durch Umwelteinflüsse wie Ernährung, Lifestyle oder Traumata beeinflusst werden können und schlimmstenfalls Krankheiten auslösen.

Und was haben jetzt Eltern damit zu tun?

Die meisten Marker werden vor der Zeugung gelöscht. Soweit so gut. Aber eben nicht alle. Beispielsweise gibt es Studien, dass die Nahrungsmittelversorgung der Großeltern gesundheitliche Auswirkungen auf die Kinder haben kann (siehe Rockoff, 2017). Auch Traumata der Mutter - nicht nur ausschließlich während der Schwangerschaft – können an ihre Nachkommen weitervererbt werden. Bei Mäusen z.B., die eine Angstreaktion antrainiert bekommen haben und danach verpaart wurden, wurden Nachkommen mit derselben Angstreaktion gezeugt (siehe Schröger, 2022). Einige epigenetische Marker werden also an die nächsten Generationen weiter vererbt. Klingt fies, oder? Aber es geht noch besser, denn auch prägende frühkindliche Erfahrungen und sogar Erfahrungen in der Pubertät können die Genaktivität beeinflussen. Insbesondere für den Umgang mit Stress ist dies bereits umfassend untersucht.

Was ein Stress... Epigenetische Prozesse beeinflussen Stressreaktionen

Reicht nicht? Was Stress ist weiß fast jeder – dass es guten und schlechten Stress gibt wissen auch noch einige.

Stress beeinflusst epigenetische Prozesse – da ist sich die Wissenschaft einig. Länger andauernde Stressphasen (aus Arbeit, Traumata, oder sozioökonomisch bedingt) können noch im Erwachsenenalter bestimmte Gene markieren und so Krankheiten begünstigen – unter umständen sogar die der eigenen Nachkommen. Erste Studien sehen auch einen Zusammenhang dieser Prozesse mit abnehmender kognitiver Leistungsfähigkeit im Alter, sowie auch depressivem Verhalten. Wenn sich jetzt ein unangenehmens Gefühl bei Ihnen ausbreitet – warten Sie kurz. Lesen Sie unbedingt zu Ende. Denn die gute Nachricht kommt.

Da kann man was machen 

Sie werden sicher denken – „wie, jetzt doch?“ Ja, denn vererbte oder in der Kindheit erworbene psychische Dispositionen lassen sich in den meisten Fällen „löschen“. Sie fragen sich wie?

Unsere Lebensweise kann zu einer positiven Veränderung der oben erklärten epigenetischen Marker führen. Im Augenblick sind insbesondere 3 Bereiche identifiziert, die, durch Studien bestätigt, Erfolg versprechen. Das erste wird Sie kaum überraschen, wenn sie ehrlich mit sich sind, wissen Sie das längst.

Unsere Ernährung 

Ernährungsgewohnheiten beeinflussen unsere Psyche
…und somit auch unser Stresserleben – und folglich auch unsere Gesundheit. Ohne Sie jetzt mit biochemischen Einzelheiten zu langweilen – Obst und Gemüse sind gesund – sie können nach aktuellen Stand der Wissenschaft krankheitsauslösende epigenetische Prozesse hemmen. „Toll…“ denken Sie? „Ich ernähre mich aber schon gesund!“ – Nun ja, dass ist eben nur eine Säule auf die es ankommt. 

Unsere Psyche beeinflusst unsere Ernährungsgewohnheiten
Leider ist es aber auch anders herum. Ein richtiger Teufelskreis. Leidet unsere Psyche, leidet darunter häufig als erstes unsere Ernährung. Insbesondere wenn wir unter Stress stehen, meinen wir besonders kurzkettige Kohlenhydrate zu benötigen, vermeintlich schnelle Muntermacher am besten noch mit einer Menge Fett – denn die Evolution hat vorgesorgt. Steht der Organismus unter Anspannung oder gar Stress – dann will er schnell noch ein paar Notfallreserven anlegen. Aber das genauer auszuführen ist Stoff für einen anderen Blogartikel und führt hier zu weit. Also fragen Sie sich vielleicht, wo kann ich denn nun anfangen aus diesem Kreislauf heraus zu kommen?

Stressprävention und Stressbewältigung 

Stress kann krank machen – Stress ist aber allgegenwärtig. Stress beeinflusst unser Wohlbefinden in großem Ausmaß und wie oben schon beschrieben, kann er sich quasi an den Genen mittels Marker festsetzen und unsere Gesundheit auch längerfristig gefährden. Der Umgang mit Stress ist somit ein perfekter Einstieg in den und Ausstieg aus dem Teufelskreis.

Vielleicht denken Sie jetzt… „Ja, ja, ich habe zu viel Stress, weiß ich schon – aber was soll ich auch machen – ich habe einen Job und… (Kinder, Haushalt, Tiere, Nebenjob, Hobbies…die Liste kann beliebig lang sein). Ich habe halt ein stressiges Leben.“ Ja und genau da liegt das Problem – Sie denken, Sie können nichts machen – dabei wissen Sie nur nicht was sie machen können. Es gibt zwei grobe Richtungen – einmal die Vorbeugung von Stress (Stressprävention) und einmal die Verarbeitung von Stress (Stressbewältigung).

Also – haben Sie keinen Stress – dann schauen Sie auch unbedingt, dass es dabei bleibt und beugen zukünftigen Stress vor. Präventiv wirken kann gesunde Ernährung, dem Anwenden von Entspannungstechniken wie Progressive Muskelentspannung oder Autogenem Training aber auch Selbstreflexion. Ist es dann doch passiert – der Stress ist da – dann geht es an Bewältigungsstrategien. Auch hier gibt es erprobte Wege und Möglichkeiten zu lernen damit umzugehen.

Resilienz – die Königsdisziplin 

Wir haben also gerade eine akute Stressphase und wir können lernen damit besser umzugehen, den negativen Stress abzuschütteln und möglichst nur noch positiven Stress an uns heranzulassen. Ist man noch nicht geübt in Gelassenheit sollte man aktiv Stress reduzieren. Es gibt hierzu eine Menge Literatur, Übungen und Kurse.

All das kann Ihrem Stress an den Kragen und somit ihre Gesundheit unterstützen. Ein super Tool zur Stressbewältigung ist ein angepasstes Zeitmanagement. Auch Entspannungsphasen zwischen den Terminen hilft den akuten Stress zu verarbeiten. Irgendwann kommt dann aber doch die Frage wieder auf – warum genau bin ich stressanfälliger als mein Nachbar oder meine Fußpflegerin? Nun – die Antwort darauf ist Resilienz.

Unsere Widerstandsfähigkeit ist nicht in Stein gemeißelt. Sie haben als Kind vielleicht nicht die besten Vorbilder gehabt was dem Umgang mit Stress und Krisen angeht – aber es ist nicht „irreversibel“ – erinnern Sie sich - „da kann man was machen“. Man kann durch gezieltes Training die Gene wieder flott machen und sogar eine Grundlage schaffen dauerhaft resilient zu werden. Tatsächlich wurden Personen in mehreren Studien epigenetisch vor und nach einer Intervention untersucht. Negative, epigenetische Veränderungen konnten nach einer Therapie, einem Stresspräventions-, Bewältigungskurs oder einem Resilienzkurs nicht mehr nachgewiesen werden.


Resumee 

Sie können sich diese Techniken autodidaktisch beibringen, hier und da mal etwas darüber lesen und vielleicht ein Video zur Progressiven Muskelentspannung im Internet anschauen – oder Sie lassen sich – wissenschaftlich fundiert, durch die Krankenkasse teilweise mit finanziert, von unseren Kursen auf diesem Weg begleiten. Weitere Informationen dazu finden Sie in unserem Shop.


Sie möchten noch mehr darüber erfahren, wie man langfristig Gewohnheiten ändern kann? Hier geht es zu dem letzten Beitrag rund um das Thema Nudging. Viel Spaß beim lesen!



Quellen, weiterführende Links und Literatur zum Thema:

Costandi, Moheb (2015): 50 Schlüsselideen Hirnforschung: Springer. Graw, J. (2020). Epigenetik. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-60909-5_8

Lehnert, Hendrik; Kirchner, Henriette; Kirmes, Ina; Dahm, Ralf (2018): Epigenetik – Grundlagen und klinische Bedeutung. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.

Rockoff, M. (2017): Epigenetik zwischen den Generationen. Max-Planck-Gesellschaft. Online verfügbar 

Schröger, Erich; Grimm, Sabine; Müller, Dagmar (2022): Gene und Verhalten – Subzelluläre Ebene. In: Biologische Psychologie: Springer, Berlin, Heidelberg, S. 137–155. Online verfügbar

Stoffel, Martin; Gardini, Elena; Ehrenthal, Johannes C.; Abbruzzese, Elvira; Ditzen, Beate (2020): Evaluation von Stressprävention und Stressbewältigung mittels epigenetischer Marker. In: VER 30 (1), S. 18–29. https://doi.org/10.1159/000505595


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Karin Hoisl-Schmidt

Über die Autorin

Karin Hoisl-Schmidt liegt die Gesundheitsförderung und mentale Stärkung von Menschen am Herzen. In ihren achtsamkeitsbasierten Seminaren zur Resilienzförderung vermittelt die Psychologin auf lebendige Art fundierte und praxiserprobte Werkzeuge für mehr Gelassenheit. Ihr Ziel: Menschen dazu befähigen, mehr und mehr in innerer Freiheit und wachsendem Wohlbefinden in ihrer Einzigartigkeit aufzublühen

Karin Hoisl-Schmidt

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